Gefühlte Wahrheiten als „schleichendes Gift“ für die Demokratie

Artikel von Zoé Fischer , 04.11.2025

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wehrhafte Demokratie“, organisiert von der Zukunftsakademie, fand am Donnerstag, den 30. Oktober 2025 ein Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde zum Thema „Die Kapitulation der Vernunft in einer überforderten Gesellschaft – Wenn Denken und Handeln unter die Regie extremer Gefühle geraten“ in der Klinik am Hainberg statt.
Genauso wie bei der letzten Veranstaltung der Zukunftsakademie „Mitreden statt nur wählen - Wie viel Demokratie steckt im Systrem?“ besuchte die Demokratie AG der Modellschule Obersberg das Forum und nahm an der Diskussionsrunde nach der Fish-Bowl-Methode teil.

Nach dem Vortrag diskutierten der Referent Prof. Dr. Lantermann, Joachim Lindner, Vorstandsmitglied der Zukunftsakademie und ehemaliger Ärztlicher Direktor der Klinik am Hainberg, Andrea Budde, Chefärztin und Ärztliche Direktorin der Klinik am Hainberg, der Kommunalpolitiker Karsten Vollmar (SPD) und die Schülerinnen der Demokratie AG der MSO Lucy Landefeld und Zoé Fischer unter der Leitung von Daniel Göbel, Stellvertretender Redaktionsleiter der Hersfelder Zeitung. Jederzeit konnten Besucher aus dem Publikum zur Diskussion dazustoßen.

Fast 90 Teilnehmende folgten dem Vortrag des Persönlichkeits- und Sozialpsychologen Professor Dr. Ernst-Dieter Lantermann, der anhand von verschiedenen Studien u. a. die Auswirkungen der sozialen Medien auf die Gesellschaft beobachtet hat. So habe sich die Gesellschaft zu einer „Emokratie“ entwickelt, die sich durch ihre Emotionen leiten lasse. Die wachsende Vereinsamung und die Zukunftsängste der Bevölkerung gekoppelt mit dem Überangebot an Informationen durch die sozialen Medien würden leicht zum Überschwappen von Emotionen wie Überforderung führen. Ein gewisses Ohnmachtsgefühl mache sich im Bürger breit, welches entweder den Rückzug und die Abschottung aus der Gesellschaft oder eine starke Emotionalisierung zur Folge habe. Wut könne sich dann schnell zu Hass auf andere entwickeln.
„Ich fühle, also weiß ich“: Wenn die Vernunft nicht mehr entscheidend sei und der Mensch sich nur noch von seinen Gefühlen leiten lasse, wird das Gefühl zur Wahrheit, so Lantermann. Dies werde von Populisten und extremen Parteien genutzt, um durch sogenannte Gefühlspropaganda Anhänger zu generieren.
Prof. Dr. Lantermann betonte jedoch auch, dass das Denken ohne Gefühle den Menschen handlungsunfähig mache. Wenn aber „heiße Gefühle“, also starke Emotionen, im Spiel seien, führe dies zu einem Tunnelblick und somit zu extremen Handlungen ohne Hemmungen. Die Anfälligkeit für fanatische Überzeugungen steige und man verwerfe das eigene Denken, da man süchtig nach maximaler Aufstachelung der Gefühle werde.
Aus Gegnern würden Feinde, mit denen man nicht mehr argumentieren könne, da man nicht das gleiche Wissen teile. Jedoch sei ein zentraler Faktor der Demokratie die Gewissheit, mit anderen Menschen das gleiche Wissen zu teilen und zu vertrauen, so Lantermann. In Zeiten von künstlicher Intelligenz werde es immer schwerer, Fake News zu identifizieren, sodass das gegenseitige Vertrauen der Menschen verloren gehe. Auch gefühlte Wahrheiten seien ein „schleichendes Gift“ für die Demokratie, sodass die Menschen nicht mehr vernünftig diskutieren könnten, sondern ihren Gegenüber direkt als Feind ansehen würden.