Die Presse in der Moderne: ein Interview mit Kai Struthoff
Artikel von Zoé Fischer , 18.06.2025
Welche Rolle spielt die Presse heute in der Gesellschaft? Wie präsent ist die Politik in den Medien und was bedeutet es eigentlich, Journalist zu sein? Diese Fragen haben wir Kai Struthoff, den Redaktionsleiter der Hersfelder Zeitung, in einem dreiteiligen Interview gefragt.
Kai Struthoff ist seit fünfzehn Jahren der Redaktionsleiter der Hersfelder Zeitung. Davor war er zehn Jahre lang beim Weser-Kurier in Bremen als Mitglied der Chefredaktion tätig.
Kai Struthoff kommt aus Berlin und hat dort beim Tagesspiegel seine Journalistenausbildung gemacht.
Die Hersfelder Zeitung (HZ) existiert seit 1763 und gehört damit zu den achtzehn ältesten Zeitungen weltweit. Sie ist eine reine Lokalzeitung und von ihrem Aufbau besonders, da sie mit dem Lokalen beginnt und nicht wie die meisten Zeitungen mit der Weltpolitik. Der überregionale Teil der Hersfelder Zeitung wird zum einen Teil von der Partnerzeitung HNA gemacht. Der Politikteil wird seit geraumer Zeit in Frankfurt für alle Zeitungen der Verlagsgruppe Ippen gemacht.
Herr Struthoff, wie haben sich Zeitungen in den letzten Jahren verändert? Haben sich grundlegende Strukturen in den Zeitungen oder die Themen, über die berichtet werden, verändert?
Also zunächst einmal würde ich sagen, dass die Zeitungen in den letzten Jahren besser geworden sind dadurch, dass sich die Technik sehr verbessert hat. Wir haben zum Beispiel Farbbilder, ein sehr übersichtliches, klar gegliedertes Layout und wir sind auch aktueller geworden.
Auch der Umfang der Zeitung hat zugenommen. Früher war der Lokalteil schon ein Stück weit dünner. Die Texte sind insgesamt kürzer geworden, womit wir auch dem Leseverhalten Rechnung tragen, weil die Menschen auch nicht mehr die Zeit haben, um Zeitung zu lesen. Der große Umbruch für alle Medien war das Internet. Seither haben wir eben sehr viel Konkurrenz und es gibt viele Medien, die sehr viel aktueller, nicht immer besser, aber sehr viel schneller berichten. Die Informationsmöglichkeiten, aber auch die Informationsflut ist größer geworden. Wir haben uns daran natürlich angepasst, es gibt die Hersfelder Zeitung auch online auf unserer Webseite und wir haben einen Instagram-Account. Aber unser Kerngeschäft ist eben nach wie vor die Tageszeitung, wobei die Auflagen der Zeitungen sinken, während die Reichweite der Zeitung deutlich steigt, weil eben viel mehr Menschen über das Internet auch zugreifen können.
Ist die Politik in den Medien präsenter geworden?
Das glaube ich nicht unbedingt, dass die Politik präsenter geworden ist. Also die Zeitungen oder die Medien haben schon immer über Politik berichtet, das hat immer einen breiten Raum eingenommen und das tut es immer noch. Als ich ein junger Mann war, da war die Tagesschau omnipräsent. Man rief nicht um 20:00 Uhr bei jemandem an, denn da schaute ganz Deutschland die Tagesschau. Abgesehen davon, dass man das nicht mehr machen muss, weil man am Fernseher auf „Pause” drücken oder in der Mediathek nachschauen kann, sind auch die Zuschauerzahlen nicht mehr so hoch, sodass das Interesse an Politik und dem Verstehen von Politik sich zumindest verändert hat.
Es gibt immer noch viele Leute, die sehr an Politik interessiert sind, aber eben viele glauben auch diese einfachen Formeln. Politik ist aber nicht einfach und es gibt keine einfachen Antworten auf sehr komplexe Fragen, auch wenn uns das manche glauben machen wollen. Es gibt auch keinen richtigen Weg, sondern es gibt immer mehrere Wege, die zum Ziel führen, darüber muss man diskutieren und sich austauschen und dieser Diskurs hat sich sehr verändert in der Gesellschaft.
Das merken wir alle. Der Ton ist sehr viel rauer geworden. Man hat keine große Lust mehr, anderen zuzuhören, wenn sie andere Meinungen vertreten, man will auch andere Meinungen nicht unbedingt gelten lassen, sondern selbst recht haben. Wer lauter brüllt (in Großbuchstaben dann gerne, wenn es schriftlich ist), der findet häufig eher Gehör, dabei sind es oft auch die die leiseren Töne, die Zwischentöne und die Hintergrundinformationen, die man mal hören sollte.
Heutzutage haben wir ganz viele Informationen verfügbar, aber sind wir deshalb wirklich klüger? Wissen wir deshalb mehr über den Nahostkonflikt, auch wenn wir jeden Bombeneinschlag in Gaza im Fernsehen live verfolgen können? Aber wissen wir deshalb mehr über die Hintergründe? Wir könnten mehr darüber wissen, aber ob diese Informationsfülle, die zur Verfügung steht, wirklich genutzt wird, daran zweifle ich manchmal.
Also würden Sie sagen, dass die Wahrnehmung sich verändert hat bezüglich der Politik?
Ja natürlich, ihr schaut natürlich nicht mehr fern, wie ich weiß, aber wenn ich zum Beispiel durch den Fernseher zippe, dann sehe ich auf zehn verschiedenen Programmen Friedrich Merz, wie er etwa das Gleiche erzählt. „Ja, immer der Merz, ihn sehe ich ja überall, den kann ich nicht mehr sehen”, hört man dann auch. Das ist die Gegenreaktion, wenn man von etwas zu viel mitbekommt. Aber, man weiß nicht, ob die Leute wirklich in die Tiefe gehen und ob sie dieses wirklich so richtig verstehen.
Ist die Sprache im Journalismus eigentlich noch verständlich? Setzen wir nicht viel zu viel voraus? Man kann nicht immer wieder noch mal erklären, was der Nahostkonflikt eigentlich ist und worum sie sich da eigentlich streiten. Das kann man nicht machen.
Auch in einer Zeitung ist bisher der Platz begrenzt, aber theoretisch könnte man ja recherchieren und zusammen darum streiten: „Wie ist es da eigentlich?” Und dann lese ich mal nach und dann gebe ich bei Wikipedia das ein und habe zwanzig Bildschirm- und Seitenformate mit Text, die ich ja auch nicht lese.
Vielleicht ist die Politik in der Wahrnehmung präsenter, aber ich habe so das Gefühl, dass es eben früher durch das begrenztere Medienangebot besser war. Gut, da haben vielleicht auch mehr Menschen auf dieselbe Quelle oder auf ähnliche Quellen zurückgegriffen, weshalb dann auch die Formationen des Informationsstandes ähnlich waren, weil man die Zeitung gelesen hatte und dann wusste, was darin stand. Heute lesen mehr als die Hälfte der Menschen hier in unserem Kreis nicht die Zeitung.
Aber deshalb ein Beispiel: Wirklich ganz frappierend fand ich es, als wir den Hessentag hier in Bad Hersfeld hatten. Da haben wir in der Zeitung, aber auch die Kollegen von Osthessen News und der HR und die Anzeigenblätter und die Stadt auf ihrer Website informiert, wo die Straßensperrungen sind zum Beispiel. Dass es Straßensperrungen gibt und dass die Verkehrsführung eingeschränkt ist.
Als es dann los ging, dann sah ich dann auf Facebook: „Hilfe, ich stehe im Stau! Kann mir mal jemand sagen, wie ich jetzt nach Hersfeld komme? Was ist denn da los?“, wo ich mich gefragt habe, wo wart ihr denn? Unter welchem Stein habt ihr gelegen die letzten Wochen, als das überall berichtet wurde? Aber es bekommen dann doch nicht alle mit und auch wenn man die Zeitung früher zuhause hatte, hat man sie nicht unbedingt gelesen und auch nicht alles gelesen und auch nicht alles verstanden und auch vieles vergessen, was man gelesen hat.
Aber ich finde, in unserer heutigen Zeit fehlt so ein bisschen die gemeinsame Informationsbasis.
Hat die Presse dieselbe Funktion wie vor fünfzig Jahren oder hat sie sich verändert?
Die Funktion der Presse ist sogar in Gesetzen geregelt, in den Mediengesetzen zum Beispiel, aber unsere Gesellschaft basiert auf dem sogenannten Partizipationsprinzip.
Eine Demokratie lebt davon, dass sie von informierten Bürgern getragen wird, die dann in regelmäßigen Abständen bei ihrer Regierung entscheiden, ob es nun die Wahl eines Bürgermeisters in einer kleinen Gemeinde ist oder ob es die Wahl des Bundeskanzlers ist. Darüber entscheiden wir schon immer und wir sehen auch, dass die Wahlen nicht so ausgehen, wie sich viele das wünschen würden, und damit muss man dann natürlich umgehen. Die Idee der Demokratie ist, dass informierte und mündige Bürger mitreden können, die auch für sich selbst entscheiden, ob die Werte und Ziele der jeweiligen Partei des jeweiligen Politikers sie anspricht.
Und das ist eigentlich die Aufgabe der Medien: Möglichst breit zu informieren und auch unterschiedliche Meinungen darzustellen, jeden zu Wort kommen zu lassen zu einem Thema und es dann den Lesern, den Bürgern, den Wählern zu überlassen, ihre Entscheidung zu treffen. Wir helfen ihnen ein bisschen dabei, indem wir Kommentare schreiben. Kommentare sind aber eine Meinungsäußerung und die muss man nicht teilen.
Der Widerstreit der Meinung, der macht die Demokratie aus und um da eben kompetent mitreden zu können, braucht man Informationen. Nicht unbedingt aus der Tageszeitung. Nein, das ist heute nicht mehr so, aber die Tageszeitung liefert einem ziemlich komprimiert das, was für einen Leser hier in unserem Kreis wichtig ist. Deshalb würde ich nach wie vor sagen, dass es nützlich ist, Zeitung zu lesen.